Werden Bauvorhaben durchgeführt, muss grundsätzlich den Anforderungen des Baurechts gefolgt werden. Neben dem Bauplanungsrecht – mit dem Baugesetzbuch (BauGB) und der Baunutzungsverordnung (BauNVO) – sind dabei vor allem die Landesbauordnungen der Bundesländer als Bauordnungsrecht zu beachten. Der Beitrag erläutert die Besonderheiten bei verfahrensfreien Bauvorhaben und geht auf die damit verbundenen Herausforderungen ein.
Das Recht zu bauen kann als „Baufreiheit“ bezeichnet werden. Die ist ein Bestandteil der durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG (Grundgesetz) gewährleisteten Eigentumsgarantie [1]. Bereits im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 ist geregelt: „In der Regel ist jeder Eigenthümer seinen Grund und Boden mit Gebäuden zu besetzen oder sein Gebäude zu verändern wohl befugt.“ [2]
Allerdings wird dieses Grundrecht der Baufreiheit durch das Baurecht eingeschränkt, um Gefahren und Spannungen zu vermeiden. Das Baurecht ist somit ein Teil des Gefahrenabwehrrechts.
Nach der Musterbauordnung und darin explizit dem § 59 gilt: „Die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen bedürfen der Baugenehmigung, soweit in den §§ 60 bis 62, 76 und 77 nichts anderes bestimmt ist.“ [3]
Es gibt es nach der Musterbauordnung folgende Verfahren:
- § 60 Vorrang anderer Gestattungsverfahren (z. B. Straßenrecht, Wasserrecht, Atomrecht)
- § 61 Verfahrensfreie Bauvorhaben, Beseitigung von Anlagen (z. B. Schutzhütten für Wanderer, Gartenlauben in Kleingartenanlagen, Mauern einschließlich Stützmauern und Einfriedungen mit einer Höhe von bis zu 2 m)
- § 62 Genehmigungsfreistellung (z. B. bauliche Anlagen innerhalb eines Bebauungsplans, wenn es u. a. den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspricht)
- § 63 Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren (z. B. bauliche Anlagen, die u. a. keine Sonderbauten sind)
- § 64 Baugenehmigungsverfahren (im Grunde alle Bauvorhaben, die nicht den vorgenannten Paragrafen unterliegen)
- § 76 Genehmigung Fliegender Bauten (z. B. Fahrgeschäft, Zelte)
- § 77 Bauaufsichtliche Zustimmung (z. B. bei verfahrensfreien Bauvorhaben, wenn die Leitung der Entwurfsarbeiten und die Bauüberwachung einer Baudienststelle des Bundes oder eines Landes übertragen sind).
Bauantragsunterlagen nach Musterbauvorlagenverordnung
Bis auf die verfahrensfreien Bauvorhaben nach § 61 MBO (Art. 57 BayBO, § 50 LBO BW, § 60 ThürBO) ist allen Bauvorhaben gemeinsam, dass mehr oder weniger Bauantragsunterlagen nach der Musterbauvorlagenverordnung (MBauVorlV) (bzw. den nach Landesrecht gültigen Bauvorlagenverordnungen) bei den zuständigen Behörden eingereicht werden müssen.
Dazu müssen, je nachdem, ob es sich um
- Bauliche Anlagen (§ 3 MBauVorlV),
- Werbeanlagen (§ 4 MBauVorlV),
- einen Vorbescheid (§ 5 MBauVorlV),
- eine Beseitigung von Anlagen (§ 6 MBauVorlV) handelt,
verschiedene Bauvorlagen (Bauzeichnungen, Lageplan, Schnitte, Nachweise, z. B. Brandschutznachweis, statischer Nachweis etc.) vorgelegt werden.
Verfahrensfreie Bauvorhaben
Eine Ausnahme bilden die verfahrensfreien Bauvorhaben nach § 61 MBO. Für sie müssen keine Pläne, Berechnungen, Nachweise, Bescheinigungen etc. bei den zuständigen Behörden eingereicht bzw. abgegeben werden.
„Verfahrensfrei sind die weniger bedeutsamen Bauvorhaben, wohingegen die wichtigeren Bauvorhaben genehmigungspflichtig sind (…). Aufgrund der Verfahrensfreiheit hat die Behörde grundsätzlich nicht die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften von Baubeginn zu überprüfen.“ [4]
„Der § 61 MBO (Art. 57 BayBO) regelt die Verfahrensfreiheit für die Errichtung und Änderung (und auch teilweise die Nutzungsänderung) und des Weiteren auch die Beseitigung von Anlagen. Die einzelnen Tatbestände stehen grundsätzlich selbstständig nebeneinander (…). Es gilt das Günstigkeitsprinzip. Ein Vorhaben ist grundsätzlich verfahrensfrei, wenn es unter einen der Ausnahmetatbestände fällt.“ [4]
Somit ist es dem Bauherrn (bzw. den Baubeteiligten) selbst überlassen, die Regeln, die das verfahrensfrei Bauvorhaben betreffen, zu beachten und einzuhalten. Allerdings bedeutet ein verfahrensfreies Bauvorhaben nicht „vogelfrei“, bzw. dass nichts beachtet werden muss.
Grundsatz nach LBO
Der § 59 der MBO (Art. 55 BayBO, § 41 LBO BW, § 52 ThürBO) schreibt dazu:
„Die Genehmigungsfreiheit (…) entbindet nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an Anlagen gestellt werden, und lassen die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse unberührt.” [3]
Das bedeutet, dass der Bauherr, der ein verfahrensfreies Bauvorhaben durchführen möchte, grundsätzlich alle technischen Regeln einhalten muss, die für sein Bauvorhaben (dennoch) gültig sind. Werden diese nicht eingehalten, ist es der zuständigen Behörde nicht verweigert einzugreifen (z. B. Baustopp, Rückbau, Nutzungsuntersagung).
Projektbeispiele: Verfahrensfreie Bauvorhaben
Projektbeispiel 1: Fassade eines Wohnhauses saniert und Fenster ausgetauscht
Bei einer verfahrensfreien Sanierung (Bayern) eines Wohnhauses (Gebäudeklasse 2, max. 400 m² und zwei Nutzungseinheiten, nicht freistehend) wurde u. a. die Fassade wärmedämmtechnisch saniert. Dabei wurde eine Dämmschicht aufgebracht und im Zuge dessen wurden die Fenster ausgetauscht.
Nach Art. 57 (1) Nr. 11 Buchstabe 2 BayBO sind Fenster bzw. nach Absatz 4 ist die Änderung verfahrensfrei.
Art. 31 BayBO schreibt allerdings vor: „Für Nutzungseinheiten mit mindestens einem Aufenthaltsraum wie Wohnungen, Praxen, selbstständige Betriebsstätten müssen in jedem Geschoss mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege ins Freie vorhanden sein (…). Der zweite Rettungsweg kann eine weitere notwendige Treppe oder eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit sein.“ [5] Des Weiteren schreibt Art. 35 BayBO vor, dass Fenster, die als Rettungswege nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 dienen, in der Breite mindestens 0,60 m, in der Höhe mindestens 1 m groß, von innen zu öffnen und nicht höher als 1,20 m über der Fußbodenoberkante angeordnet sein müssen [5].
An dem Beispiel ist klar zu erkennen, dass die Angabe „in der Höhe 1 m groß“ nicht eingehalten wurde. Eine Rettung aus diesem Fenster war bei einer Personenrettung (als Hilfeleistung für den Rettungsdienst, kein Brand) mittels Leitern nicht möglich, was bei einem Rettungseinsatz, bei dem der Autor als Rettungskraft (Feuerwehr) am Einsatz teilnahm, bewiesen wurde.
Zu beachten ist, dass die MBO (und teilweise auch andere Landesbauordnungen) im § 37 keine Anforderung an die Ausrichtung der Fenster stellt. Es werden lediglich die Maße festgelegt: Fenster, die als Rettungswege nach § 33 Abs. 2 Satz 2 dienen, müssen im Lichten mindestens 0,90 m × 1,20 m groß und dürfen nicht höher als 1,20 m über der Fußbodenoberkante angeordnet sein [3].
Projektbeispiel 2: Anbau an ein Einfamilienhaus
An ein Einfamilienhaus in Bayern (Gebäudeklasse 2, max. 400 m² und zwei Nutzungseinheiten, nicht freistehend) wurde an der Giebelseite neben der Garage ein weiteres Gebäude angebaut. Nach Art. 57 (1) Nr. 1 Buchstabe a BayBO sind Gebäude mit einem Brutto-Rauminhalt bis zu 75 m² (außer im Außenbereich) verfahrensfrei. Der Anbau besitzt Außenmaße von 4 m × 3 m × 3 m = 36 m² und ist nach dem genannten Artikel somit verfahrensfrei. Der nachträglich angebaute Wintergarten besitzt Maße von 6 m × 3 m × 3 m = 54 m³ und ist daher ebenso verfahrensfrei.
Wie im Beispiel 1 kann auch in diesem Fall der zweite Rettungsweg mittels Rettungsgeräten der Feuerwehr (hier vierteilige Steckleiter; ein Hubrettungsgerät ist an dieser Örtlichkeit nicht vorhanden) nicht sichergestellt werden, da „ eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit “ [3 und 5] nicht erreicht werden kann. Das Dachflächenfenster – wenn es als zweiter Rettungsweg dienen sollte – muss nach § 37 MBO (bzw. dem gleichlautenden Art. 35 BayBO) folgende Anforderungen erfüllen:
Liegen diese Fenster in Dachschrägen oder Dachaufbauten, so darf ihre Unterkante oder ein davor liegender Austritt von der Traufkante horizontal gemessen nicht mehr als 1 m entfernt sein [3 und 5]. Das Dachflächenfenster liegt etwa 2 m von der Traufkante entfernt.
Auch das in der Giebelwand liegende Fenster und ebenso das Dachflächenfenster können nicht mit einer vierteiligen Steckleiter erreicht werden, da der Anbau hinter der Garage bzw. der Wintergarten ein ordnungsgemäßes Aufstellen einer vierteiligen Steckleiter nach Feuerwehrdienstvorschrift 10 (FwDV 10) nicht ermöglicht. Es gilt nach Punkt 6 Allgemeine Einsatzgrundsätze Buchstabe m: Bei Anlegeleitern ist auf den richtigen Anstellwinkel (65–75 Grad) zu achten [6]. In diesem Fall könnte vermutlich nur noch eine „abenteuerliche Hauruckaktion“ helfen, bei der eine vierteilige Steckleiter auf dem Dach (tragfähig?) der Garage aufgestellt wird.
Werden Wärmedämmungen angebracht, sind diese nach § 61 MBO Nr. 11 (Art. 57 Nr. 11 BayBO) verfahrensfrei, denn es gilt: Verfahrensfrei sind folgende tragende und nichttragende Bauteile: Außenwandbekleidungen einschließlich Maßnahmen der Wärmedämmung, ausgenommen bei Hochhäusern, Verblendungen und Verputz baulicher Anlagen [3 und 5].
„Zu beachten ist allerdings, dass Brandwände nach § 30 MBO aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen müssen. In einem Rundschreiben der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern (jetzt Bayerisches Staatsministerium für Bauen, Wohnen und Verkehr) wird erläutert: Nach Art. 57 BayBO sind Maßnahmen zur nachträglichen Wärmedämmung an Außenwänden und Dächern verfahrensfrei. Da die Verfahrensfreiheit nicht von der Verpflichtung befreit, die jeweils maßgeblichen materiellrechtlichen Anforderungen zu beachten (Art. 55 Abs. 2 BayBO), stellt sich insbesondere häufig die Frage, ob zugunsten solcher Maßnahmen (…) Abweichungen von Bauordnungsrecht (Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO) zugelassen werden können. Wird eine Gebäudeabschlusswand an der oder mit einem Abstand bis zu 2,50 m gegenüber der Grundstücksgrenze errichtet, ist sie nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayBO – vorbehaltlich der dort beschriebenen Ausnahmen – grundsätzlich als Brandwand auszuführen. Wird auf eine solche Brandwand nachträglich eine Wärmedämmung aufgebracht, muss dabei die Brandwandeigenschaft erhalten bleiben. Das setzt voraus, dass nur nichtbrennbare Baustoffe verwendet werden.“ [7]
Somit ist auch in diesem Fall von den am Bau Beteiligten darauf zu achten, dass eine Ausführung zwar ohne Beteiligung der unteren Bauaufsichtsbehörde abgewickelt werden kann, dass jedoch die dazu gültige Landesbauordnung in Bezug auf die Anforderungen für Brandwände beachtet wird.
Weitere Bauvorhaben als Beispiele
Im § 61 MBO (bzw. Art. 57 BayBO) [3, 5] werden noch weitere Bauvorhaben aufgelistet, die verfahrensfrei sind, aber bei denen dennoch der Brandschutz (im Besonderen) zu beachten ist (Auszug):
- “Garagen bis zu 50 m³ (§ 61 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe b), die ebenfalls eine Anleiterung behindern oder eine „Überbrückung“ von Brandabständen (2,50 m zu Grundstückegrenzen) nach sich ziehen könnten.
- Mauern und Einfriedungen (§ 61 Nr. 7 Buchstabe a MBO), die einen Feuerwehrzugang be- oder einschränken könnten.
- Änderung von tragenden Teilen innerhalb von Wohngebäuden, z. B. Einziehen eines tragenden Unterzuges (§ 61 Nr. 11 Buchstabe b MBO). Dabei ist die Feuerwiderstandsdauer des neuen tragenden Teils in Abhängigkeit von der Gebäudeklasse zu beachten.
- Regalanlagen, bei denen die Oberkante das Lagerguts auf über 7,50 m erhöht wird (§ 61 Nr. 15 Buchstabe b MBO). Dies erfüllt sogar einen Sonderbautatbestand (§ 2 Absatz 4 Nr. 18 MBO).
- Änderung der Nutzung, wenn für die neue Nutzung keine anderen öffentlich-rechtlichen Anforderungen als für die bisherige Nutzung in Betracht kommen (§ 61 Absatz 2 Nr. 1 MBO). Daher ist ebenso bei einer „Nutzungsänderung“ eines Raums (z. B. Wohnzimmer zu Schlafraum) innerhalb einer Wohnung der Brandschutz zu beachten, da bestimmte Räume (i. d. R. Flure, Schlafzimmer, Kinderzimmer) Rauchwarnmelder benötigen.“
Fazit
Auch wenn viele Bauvorhaben verfahrensfrei ausgeführt werden können, ist darauf zu achten, dass alle nötigen (bau)rechtlichen Normen, Richtlinien etc. eingehalten werden, da eine Verfahrensfreiheit die Baubeteilgten nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen entbindet, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an Anlagen gestellt werden.
Quellen
[1] Brenner, Michael: Baurecht, 2., neu bearbeitete Auflage, Heidelberg, C. F. Müller Verlag, 2006, Seite 14
[2] Allgemeines Preußisches Landrecht von 1794
[3] Musterbauordnung; ARGEBAU; Stand September 2022
[4] Molodovsky/Farmers/Waldmann: Kommentar Bayerische Bauordnung, 150. Aktualisierung; Heidelberg, rehm Verlag, 2023, Seite 12 zu Art. 57
[5] Bayerische Bauordnung (BayBO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 2007; Stand Juli 2023
[6] Feuerwehr-Dienstvorschrift 10 (FwDV 10) ProjektgruppeFeuerwehr – Dienstvorschriften des Ausschusses für Feuerwehrangelegenheiten, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung (AFKzV); Stand November 2019
[7] Baurechtliche Behandlung von Maßnahmen zur nachträglichen Wärmedämmung an Außenwänden und Dächern. Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, Stand Februar 2011
Der Beitrag ist in Ausgabe 2.2024 des FeuerTrutz Magazins (März 2024) erschienen.