Virtual Reality (VR) ist längst in der Arbeitswelt angekommen. Im Brandschutz bietet die zukunftsweisende Technologie ganz neue Möglichkeiten, effektiv, realitätsnah und zugleich sicher Brandschutzübungen durchzuführen. Sie macht Szenarien möglich, die in einer herkömmlichen Schulung nicht darstellbar sind. Norbert Kilb prüft gerade die Übernahme virtueller Praxisschulungen in das Leistungsangebot von B·A·D und hat sich dafür einen Überblick über die technischen Möglichkeiten verschafft. Der Beitrag stellt dieses Anwendungsgebiet von VR-Technologie vor.
Für den betrieblich-organisatorischen Brandschutz müssen Unternehmen eine ausreichende Zahl an Brandschutzhelfenden ausbilden und vorhalten. Die Durchführung ist in der DGUV Information 205-023 geregelt. Zunächst lernen die Teilnehmenden im theoretischen Teil die Grundlagen des Brandschutzes und der Notfallmaßnahmen. Im praktischen Teil sollen sie die Handhabung von Mitteln und Geräten zur Brandbekämpfung erlernen. In den Praxisübungen kommen gasbetriebene Trainingsgeräte und realistisches Feuer sowie Handfeuerlöscher oder Wandhydrant-Attrappen zum Einsatz.
Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Anbietern, die diese Praxisschulung auch mittels VR-Brillen umsetzen. Die virtuelle Welt bietet neue und vielfältige Anwendungen, in denen sich die Teilnehmenden in verschiedenen Brandszenarien wiederfinden und aktiv den Brand bekämpfen müssen.
Ein entscheidender Vorteil der virtuellen Praxisschulung liegt darin, dass diese nicht mehr von Jahreszeiten und Witterungsbedingungen abhängig ist. Reale Feuerlöschtrainings können bei kalten Temperaturen nicht durchgeführt werden. Das benötigte Gas besteht häufig aus einem Gemisch aus Butan und Propan, und Butan wechselt wegen des Siedepunktes von – 0,5 °C nicht mehr ohne Weiteres in den gasförmigen Zustand. Die Feuersimulationsgeräte jedoch können nur den gasförmigen Zustand nutzen. In der virtuellen Welt können die Schulungen ganzjährig durchgeführt werden.
Was die Technik alles kann
Die VR-Technologien wurden in den vergangenen Jahren stark weiterentwickelt. Dabei wurde nicht nur die Umsetzung der Technologie optimiert. Die Anwendungen und deren Auswirkungen auf den Menschen wurden auch ausführlich getestet und modifiziert. Der Mensch taucht mit der VR-Brille komplett in die virtuelle Welt ein und ist von der realen Umgebung abgeschnitten, was als Immersion bezeichnet wird. Der Mensch weiß kognitiv, dass er sich in der realen Welt befindet. Er betrachtet jedoch aufgrund der großen Intensität an Immersion die virtuelle Welt als real, sodass sich ein Gefühl der Präsenz einstellt. Neben den optischen Eindrücken, die sehr wichtig für das Eintauchen in die virtuelle Welt sind, spielen im Brandschutz auch Akustik, Haptik, Geruchs-, Gleichgewichts- und Orientierungssinn eine große Rolle.
Bei Schulungen im Brandschutzkontext wird neben der VR-Brille, die von einer entsprechenden Software auf einem Computer mit den notwendigen Daten versorgt wird, ein damit verbundener Controller verwendet. Dieser sorgt für die nötige Sensorik im Raum und kann je nach Anbieter verschiedene Formen haben: entweder wie ein klassischer Controller, wie man ihn aus anderen VR-Anwendungen bereits kennt, oder wie ein zum Handfeuerlöscher modifizierter Controller. Die Handhabung dieses Feuerlöscher-Controllers entspricht der eines handelsüblichen Feuerlöschers. Er wird durch Entsicherung oder ggf. Auslösung des Auflademechanismus aktiviert und mit der Löschpistole sowie durch Betätigung des Druckhebels bedient. Auch das Gewicht des Feuerlöscher-Controllers entspricht bei den meisten Anbietern dem eines Feuerlöschers, wie er in der Praxis zu finden ist, und er kann in der Bau- und Anwendungsweise als Dauerdruck- oder Aufladelöscher ausgeführt sein.
Wärmegebläse, das langsam, aber merklich die tatsächliche Temperatur in der unmittelbaren Umgebung des Anwendenden ansteigen lässt, sowie ein Aerosolverdampfer, der Brandgeruch simulieren kann, bilden die Geruchs- und Wärmeentwicklung ab. So werden alle Sinne des Menschen gleichzeitig angesprochen und dem Gehirn somit ein realitätsnaher Eindruck vermittelt.
Vom Computer lassen sich verschiedene Szenerien auf die VR-Brille übertragen, z. B. in einem Krankenhauszimmer, einer Kfz-Werkstatt, einem Büro oder einem Technikraum. Über die Kopfhörer wird der entsprechende Umgebungssound wiedergeben. Während der VR-Anwendung kann sich die unterweisende Person die Situation simultan auf einen Monitor oder auf eine Leinwand übertragen lassen und so live überwachen, wie die Anwendenden agieren. Außenstehende Teilnehmende erhalten so bereits einen Eindruck davon, wie das Szenario durch die aktive Person bearbeitet wird. Die unterweisende Person kann direkt eine Rückmeldung geben, und das Szenario kann ggf. erneut mit einer verbesserten Taktik erlebt werden.
Viele Unternehmen und auch Feuerwehrschulen, Werkfeuerwehren oder öffentliche Feuerwehren arbeiten in den unterschiedlichsten Kontexten sowohl mit VR-Anwendungen als auch mit Augmented Reality (AR). Bei der AR handelt es sich um eine „erweiterte Realität“, bei der die reale Welt möglichst ununterscheidbar mit virtuellen Inhalten angereichert wird. Realität und Virtualität werden vereint, wobei die virtuellen Inhalte dreidimensional umgesetzt werden. AR-Anwendungen finden sich nicht nur im Feuerwehrsegment, sondern auch bei Ausbildungsinhalten für gefährliche Tätigkeiten in technischen Berufen. Das richtige Arbeiten an Hochspannungsanlagen kann so in der virtuellen Welt unter realistischen Bedingungen geschult und erlernt werden. Der große Vorteil dabei ist zweifellos, dass Fehlhandlungen des Anwenders keine gravierenden Folgen für den Menschen haben. Im Bereich der AR-Anwendungen können Informationen in realen Räumlichkeiten erweitert werden oder auch Objekte virtuell eingefügt oder sogar verändert werden. Die Möglichkeiten für das weitere Interagieren sind vielfältig.
Vorteile von VR-Anwendungen bei Brandschutzübungen
- Fehlhandlungen des Anwenders ohne gravierende Folgen
- jederzeit, jahreszeitenunabhängig und an jedem Ort einsetzbar
- Zeitersparnis, da kein Auffüllen nötig
- Übungen sind beliebig wiederholbar
- vielseitigere Szenarien möglich
- intensiveres Erleben und größere Motivation dank spielerischen Ansatzes (Gamificaton)
Rechtlicher Hintergrund
Die Pflicht für Unternehmen, Brandschutzhelfende auszubilden und vorzuhalten, ist in drei grundlegenden Rechtsvorschriften verankert:
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Arbeitsschutzgesetz § 10 – „Erste Hilfe und sonstige Notfallmaßnahmen“
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Unfallverhütungsvorschrift (UVV) § 22 – „Grundsätze der Prävention“
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Technische Regeln für Arbeitsstätten: ASR A2.2 – „Maßnahmen gegen Brände“
In keiner der genannten Vorschriften ist beschrieben, wie die Schulung der Brandschutzhelfenden im Detail aussehen muss. Dafür gibt es die DGUV Information 205-023 „Brandschutzhelfer – Ausbildung und Befähigung“. In ihr ist festgelegt, wie die Schulung in Theorie und Praxis umzusetzen ist und welche Inhalte vermittelt werden müssen. Im Kontext der praktischen Handhabung von Feuerlöschgeräten wird klar herausgestellt, dass Erstunterwiesene keine virtuelle Löschübung durchführen dürfen, sondern anhand eines realen Feuers die Löschtaktiken erlernen müssen. Anders gestaltet sich das bei bereits geschulten Beschäftigten. Diese dürfen die praktische Löschübung auch mittels VR-Anwendung absolvieren und haben dabei vielfältige Anwendungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Auch wenn die Erstausbildung mit VR-Anwendung gemäß DGUV Information nicht zugelassen ist, gibt es Unternehmen, die ihr Personal dennoch mit diesen digitalen Mitteln schulen und ausbilden lassen. Allerdings kann in diesem Fall kein offizielles Schulungszertifikat ausgestellt werden, das bescheinigt, dass die Schulung entsprechend den maßgeblichen Vorschriften absolviert wurde.
Vorteile aus Sicht der Unternehmen
Bei der klassischen Schulung von Brandschutzhelfenden werden die Teilnehmenden für einen halben Arbeitstag in die Schulungsmaßnahme involviert und stehen während des theoretischen sowie praktischen Parts nicht mit ihrer Arbeitskraft zur Verfügung. Dies ist auch bei den Schulungen der Fall, die den Praxispart mit VR-Technologie realisieren, zumindest für den Theorieteil. Für den weiteren praktischen Part der Löschübungen kann man nun im Rahmen eines Ausbildungsplans die einzelnen Beschäftigten in zugewiesenen Zeitintervallen zur Löschübung in den vorbereiteten Raum einplanen. So werden Arbeitsprozesse und Terminkoordinationen planbarer und übersichtlicher. Ein weiterer Vorteil für Unternehmen ist, dass die individuelle Ausbildung in der Handhabung von Feuerlöschgeräten intensiver wird. Die zu schulende Person hat vielfältigere Möglichkeiten, sich in verschiedenen Szenarien mit dem Löschen vertraut zu machen. Die praktische Anwendung wird durch die Möglichkeit viel häufigerer Wiederholungen in verschiedenen Brandsituationen mit verschiedenen Löschmitteln gefestigt. Daher fühlen sich die Brandschutzhelfenden sicherer und können auch gezielt Falschanwendungen simulieren, was wiederum einen starken Lerneffekt hat. Bei einem realen Feuer sind diese Möglichkeiten der bewussten Falschanwendung oder auch ein spontaner Ortswechsel nur begrenzt bis gar nicht gegeben.
Ein weiteres wichtiges Argument für den Einsatz digitaler Lösungen ist ihr geringerer Platzbedarf. Für den Trainingsaufbau mit einem gasbetriebenen Brandsimulator ist eine entsprechend große Freifläche nötig. Dabei müssen erforderliche Abstände zu Gebäuden, Einrichtungen oder anderen – möglicherweise brennbaren – Gegenständen eingehalten werden. Die Übungslöscher müssen zwischendurch mit Wasser und Druckluft aufgefüllt und für die nächsten Teilnehmenden bereitgestellt werden. Die dafür notwendige Infrastruktur (Wasserquelle und Stromversorgung für den Druckluftkompressor) erfordert einen Mehraufwand. Zudem kostet das Auffüllen Zeit, in der die Teilnehmenden auf den nächsten Einsatz vor Ort warten müssen. Viele Unternehmen verfügen auch gar nicht über eine ausreichend große Freifläche. Gerade im städtischen Bereich stellt dies sowohl die Unternehmen als auch die Brandschutzdienstleister vor die Herausforderung, sämtliche Anforderungen an die Praxisschulung zu erfüllen. Die virtuelle Brandschutzhelferschulung bereits für die Erstausbildung zuzulassen ist aus fachlicher Sicht eine zeitgemäße und sinnvolle Notwendigkeit.
Zusammenfassung, Fazit und Ausblick
Die Digitalisierung hat bereits seit vielen Jahren einen hohen Stellenwert im täglichen Leben und vor allem in der Arbeitswelt. Auch im Brandschutzsegment schreiten die Möglichkeiten digitaler Anwendungen stetig voran, und Virtual Reality kommt auch bei Schulungsmaßnahmen inzwischen regelmäßig zum Einsatz.
Digitale Anwendungen bei Schulungen und Trainings erlauben ein bewusstes Falschhandeln, um dessen Auswirkungen zu erleben, ohne dabei einer realen Gefahr ausgesetzt zu sein. Richtiges Anwenden der Feuerlöscher kann vielfältiger geübt und somit gefestigt werden, was im Endeffekt zu einem besser geschulten Personal führt. Die Unternehmen, die VR-Anwendungen anbieten, entwickeln diese stetig weiter, was zu immer realistischeren und ausgefeilteren Szenarien führt, ohne dass man sich in eine reale Gefahr bringen müsste. Für Unternehmen bietet die neue Flexibilität viele Gestaltungsmöglichkeiten im Tagesablauf und für die Planung von Kapazitäten.
Virtuelle Anwendungen für Schulungen, Ausbildungen und Trainings werden zukünftig mutmaßlich einen immer höheren Stellenwert für Unternehmen einnehmen, da sich die Gestaltungsmöglichkeiten effizienter darstellen. Auch im Bereich der Schulung von Brandschutzhelfenden wird Virtual Reality immer stärker präsent werden. Und wer weiß: Vielleicht ändern sich auch noch die entsprechenden Vorschriften und Handlungsanleitungen bezüglich der Erstausbildungsvorgaben.
Der Beitrag ist in Ausgabe 4.2024 des FeuerTrutz Magazins (August 2024) erschienen.